In Europa wurde die Sozialwirtschaft traditionell als eine Möglichkeit gesehen, Marktversagen, wie die finanzielle Ausgrenzung von in Armut lebenden Menschen, oder Versagen des Staates, z. B. bei der Suche nach angemessenen Lösungen für Obdachlosigkeit, zu beheben. In der Praxis bedeutete dies die Gründung von Wohlfahrtsverbänden, Genossenschaften, Hilfsvereinen auf Gegenseitigkeit, Bürgervereinen und dergleichen. Diese Arten von Organisationen spielen nach wie vor eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung von Sozialdiensten, dem Einsatz für die schwächsten Gruppen der Gesellschaft und dem Beitrag zu sozialem Zusammenhalt und Solidarität.
In den letzten zwei Jahrzehnten haben jedoch die Entwicklung und Verbreitung neuer Organisationsformen und -modelle unsere Vorstellung davon, was die Sozialwirtschaft bedeutet, ausgeweitet. Insbesondere erkennen wir nun ihre Rolle bei der Förderung eines grünen und sozialen Wandels, dem die Grundsätze der Integration, der Gerechtigkeit und der Verantwortung zugrunde liegen – Grundsätze, die wir uns zu eigen machen müssen, um die von den Vereinten Nationen festgelegten Ziele für eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen. In diesem Prozess hat die Sozialwirtschaft aufgehört, der arme Cousin des Marktes und des Staates zu sein, und entwickelt sich stattdessen zu einer alternativen Art, über die Wirtschaft und sogar die Gesellschaft nachzudenken und sie zu organisieren.
Es überrascht nicht, dass sich die Sozialwirtschaft auf zwei Hauptkomponenten stützt: die Gemeinschaft, die laut Raghuram Rajan, Professor an der University of Chicago, zu oft von Markt und Staat zurückgelassen wurde, und die Solidarität, die laut Philipp Genschel und Anton Hemerijck, Professoren am Europäischen Hochschulinstitut, „die normative Erwartung gegenseitiger Unterstützung unter den Mitgliedern großer anonymer Gruppen (der Klasse, der Partei, der Nation) … ist, die die Risiken und Lasten des anderen teilen sollten, um die Ziele und den Zusammenhalt der Gruppe als Ganzes zu sichern.“
Dieser Wandel der Sozialwirtschaft ist in der gesamten Gesellschaft zu beobachten, vor allem aber im globalen Wirtschaftssystem, das verzweifelt danach strebt, sich neu zu erfinden und den Zweck als treibende Kraft zu begreifen. So wird soziales Unternehmertum heute weniger als eine bestimmte Organisationsform gesehen, sondern vielmehr als eine universelle Methode innovativen Handelns, die darauf abzielt, soziale Probleme mit unkonventionellen Ansätzen zu lösen. Der Wandel lässt sich auch an den raschen und sozialverträglichen Veränderungen von Geschäftsmodellen ablesen, die als Reaktion auf die durch COVID-19 ausgelösten Herausforderungen entstanden sind, sowie an der Entstehung dessen, was manche als Plattform-Kooperativismus bezeichnen, der versucht, Elemente von wertebasiertem Handeln, offener Innovation und Digitalisierung zu kombinieren, um neue Wege der Unternehmensführung zu beschreiten.
Institutionelle Unterstützung für die Sozialwirtschaft
Mehrere europäische Institutionen fördern dieses sich erweiternde Verständnis der Sozialwirtschaft. Das EU-Programm für Beschäftigung und soziale Innovation (EaSI) der Europäischen Kommission hatte einen doppelten Auftrag: Es konzentrierte sich auf Beschäftigungsfragen (was man als die alte Denkweise über die Sozialwirtschaft bezeichnen könnte) sowie auf die Unterstützung von sozialem Unternehmertum, sozialer Innovation und Impact Finance (was das neue Verständnis der Sozialwirtschaft widerspiegelt). Dieser Ansatz wird weiter gestärkt, wenn das Programm zu einem Kernbestandteil der aktualisierten Version des Europäischen Sozialfonds für Beschäftigung (ESF+) wird.
Darüber hinaus hat die Europäische Kommission vor kurzem die Vision „Ein starkes soziales Europa für gerechte Übergänge“ in einem Aktionsplan für die Sozialwirtschaft angekündigt, um soziale Investitionen und soziale Innovationen zu fördern und das Potenzial sozialer Unternehmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu stärken, auch für diejenigen, die am weitesten vom Arbeitsmarkt entfernt sind. Diese politische Leitinitiative soll im vierten Quartal 2021 verabschiedet werden.
Die Europäische Kommission ist nicht die einzige, die versucht, die Sozialwirtschaft zu stärken. Dieser Trend ist auch weltweit zu beobachten. Im Jahr 2020 startete die OECD die Globale Aktion „Förderung von Ökosystemen der Sozial- und Solidarwirtschaft“, ein Projekt, das über einen Zeitraum von drei Jahren mehr als 30 Länder umfassen wird. Das Weltwirtschaftsforum hat vor kurzem eine COVID Response Alliance for Social Entrepreneurs ins Leben gerufen, die eine „bahnbrechende Zusammenarbeit“ zwischen Stiftungen, Unternehmen und dem sozialen Sektor beschleunigen soll, um Barrieren zu überwinden, die die Akteure dieser verschiedenen Säulen voneinander trennen. Und der in den Vereinigten Staaten vorgeschlagene Green New Deal zielt auf den Übergang zu einem wirtschaftlich tragfähigen System der Beschaffung aus erneuerbaren Energiequellen ab, das, wie Organisationen der sozialen Bewegungen seit langem beweisen, keine Wunschutopie, sondern praktische Realität ist.